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Russland

Ein riesiges Land. Die Entfernungen sind so groß, dass das Land kaum zu regieren ist. Viel Bürokratie soll für Ordnung sorgen und behindert sich doch selbst. Weil auf unserer – von Weißrussland für Russland mitausgestellten – Migration-Card keine Seriennummer stand (hätte per Schreibmaschine eingetragen werden müssen), konnte unser Hostel uns in Moskau bei den örtlichen Behörden nicht registrieren. Der erste Bürokrat hatte keine Lust, den offenbar selteneren Fall einer Einreise von Visa-Pflichtigen über Brest korrekt zu bearbeiten, der nächste verweigert die Weiterbearbeitung. Gefangen in einer Endlos-Schleife. Ob es auch ohne Bürokratie ginge – ich weiß es nicht.

Leidtragende sind in jedem Fall die freundlichen und offenen Menschen. Sie könnten sich so viel freier entwickeln und damit auch ihr Land voranbringen. Der Wunsch nach einer straff führenden Hand ist da verständlich – allerdings einer Hand, die den Apparat straff führt, auf den sie angewiesen ist. Schwer lösbar. Letztlich könnte dadurch Rechts-sicherheit ins Land getragen werden – aber eben nur, wenn auch die Mächtigen und der Apparat sich den Regeln unterwerfen.1 Stattdessen bringen sie selbst Vermögen in rechtssichere Staaten und schicken ihre Kinder ins Ausland zur Ausbildung. In die USA, nach Großbritannien, … Warum sorgen sie nicht einfach für ein gutes Rechts- und Bildungs-system zu Hause. Noch eine andere Beobachtung zum Thema Macht. Auffällig waren sowohl in Moskau als auch Irkutsk die vielen frisch renovierten Kirchen. In Moskau sogar umgeben von komplett neu gebauten Wohnvierteln. Stehen geblieben trotz eines ansonsten großen Modernisierungswillens. Ausdruck für den Einfluss der Kirche?"2

Aber trotz aller Schwierigkeiten gibt es immer wieder unternehmerisches Denken. Fliegende Händler an den Bahnsteigen, eine perfekte Souvenir-Verkaufsshow der Schlafwagenschaffnerin, Ticketpreise für Stadttouren inklusive/exklusive Zwischenhändlerprovision, abendliche Blumenverkäuferinnen, grusinische und diverse andere kleine Restaurants. Ungewöhnliche Stadtführungen. Straßenkunst. Allerdings überrascht, dass die Menschen westliche Produkte als erstrebenswert ansehen, aber kaum fremde Sprachen lernen.

Vielleicht braucht alles ein bisschen. Den Menschen und dem Land ist es zu wünschen.

1 Vor diesem Hintergrund ist Chinas Kampf gegen Korruption gut zu verstehen, und es bleibt die Frage, wie die USA ihr System überhaupt installieren konnten. Aber auch dort haben sich die Eliten auf Kosten des „normalen“ Teils der Bevölkerung bereichert und zunehmend soziale Gerechtigkeit vergessen. Daher die Abwahl der „alten Eliten“ und das Vertrauen auf Populisten. (Allerdings, wenn Hillary Clinton oder Jeb Bush gewonnen hätte, hätten die USA von 1989-2021/2025 vier von fünf Präsidenten aus zwei Familienclans gehabt. Auch das ist schwierig.) Am Ende laufen wir in allen Systemen Gefahr, dass sozialer Unfrieden zu Vertrauensverlust führt und populistisches Chaos regiert.

2 Der Film "Leviathan" hinterfragt in beeindruckenden Bildern das Verhältnis von Staat und Kirche.

Russia

A vast country. The distances are so great that the country is hard to govern. Bureaucracy shall ensure order but hinders itself. Because there was no serial number on our migration card – a joint Belarus/Russia card, the number must be typed – our hostel was unable to register us in Moscow with the local authorities. The first bureaucrat was in no mood to correctly treat the apparently rare case of Westerners entering via Brest. Then the second bureaucrat plainly denied processing it. Caught in an infinite loop. Whether the country could do without bureaucracy - I don't know.

Anyway, the friendly and open people suffer most. They could develop so much freer and by doing so help their country. The desire for a firmly guiding hand is understandable - but for a hand firmly leading the apparatus, on which it relies. Hard to solve. Ultimately this could create legal certainty in the country – but only if the powerful and the apparatus comply with the rules, too.1 Instead they transfer assets abroad and send their children for schooling and studying to the United States, Great Britain etc. Why don’t they create a good legal and educational system at home? And one other observation around power. The many renovated churches both in Moscow and Irkutsk were surprising. In Moscow they were even surrounded by newly built residential areas. Kept despite an otherwise almost unstoppable will for modernization. Is this an expression of the influence of the Church?2

But despite all the difficulties, there is entrepreneurial thinking in many ways. Street vendors on the platforms, a perfect souvenir sales pitch from our sleeping car attendant, ticket prices for city tours inclusive/exclusive intermediary provisions, flower sellers at night, Georgian and various other small restaurants. Unusual sightseeing tours. Street art. However, it is surprising that people see Western products as desirable, but don’t learn foreign languages.

Maybe all this needs some time. It is to be hoped for the people and the country.

1 Against this background China's fight against corruption is easily understood. And I wonder how the United States could bring their system into life at all. But even there elites have enriched themselves at the expense of "ordinary” people and didn’t care about social justice. Therefore, the "old elites" were voted off and populists got their chance. (However, if Hillary Clinton or Jeb Bush had won, the United States would have had four of the five Presidents from 1989-2021/2025 from two family clans. Difficult.) In the end, all our countries run the risk that social unease leads to a loss of confidence and gives room to populist chaos.

2 The movie "Leviathan" questioned the relationship between state and church in impressive pictures.

Polen
Polen
Viel ist über das Land geschrieben worden, das immer wieder um seine Unabhängigkeit kämpfen musste und häufig Spielball der europäischen Großmächte war. Die großen Entwicklungen finden immer auch Niederschlag in Biografien – so auch in unserer Familiengeschichte.
Meine Großmutter hat von ihrer Jugend in Gräbendorf geschwärmt, dem heutigen Zabłoto (Nähe Wrocław). Das Leben trug sie von dort Richtung Westen ins lebensfrohe Berlin der 20er Jahre und die Liebe in den 30er Jahren weiter nach Rügen. Doch dann folgte ein dunkles Kapitel für einen Onkel – der Zwangstransport im Herbst 1941 von Berlin ins Ghetto Litzmannstadt (Łódź). Sein letzter Brief an meine Großmutter ist erschütterndes Zeugnis eines Todgeweihten, der um sein Schicksal wusste (siehe unten).
Ziemlich genau 40 Jahre später hat eine Nicht-ganz-Zwanzigjährige den Weg aus Warschau zum Studium in die DDR (Leipzig) gewählt – um dieses Mal politischen Unruhen und Kriegszustand in Polen zu entgehen. 30 Jahre nach unserem Kennenlernen und zwei Kinder später sind Mann und Tochter nun auf der Durchreise durch dieses Land – erwartungsvoll, dankbar für unsere Möglichkeiten, aber auch nachdenklich ob der jüngeren Entwicklungen in Polen und Europa im allgemeinen.
Poland
Much has been written about the country, which for centuries had been at the mercy of foreign powers. Major political developments are always reflected in biographies – as are the Polish ones in our family history.
My grandmother had enjoyed an untroubled childhood in Gräbendorf, the present-day Zabłoto (near Wrocław). Life took her west into the vibrant Berlin of the 20s and love took her in the 30s further north to Rügen, an island in the Baltic Sea. But then a dark chapter followed for one of her uncles – in the autumn of 1941 the transport from Berlin to the Ghetto Litzmannstadt (Łodź). His last letter to my grandmother is shocking testimony of a doomed person, who knew about his fate (see below).
Quite accurately 40 years later a not-yet-twenty-year-old had travelled from Warsaw to study in Eastern Germany (Leipzig) – this time escaping political turmoil and martial law in Poland. 30 years after our first kiss and two children later husband and daughter are now on transit through this country – full of expectations, grateful for our opportunities, but also a little worried about recent developments in Poland and Europe in general.
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